🇷🇸 Im Herzen des alten Jugoslawiens


Tagebuch Eintrag

Manchmal kann man das weniger Angenehme mit dem Angenehmen verbinden. So zum Beispiel das Reisen und die Arbeit. Ich habe das Glück, dass das Büro der Partner meiner Firma nicht direkt um die Ecke, sondern in Belgrad liegt. Da ich dort noch nie war aber den Balkan sehr mag ist es nur eine kurze Frage der Zeit, bis ich meinen Wunsch umsetze unseren wichtigen Partner dort zu besuchen.

Ich habe noch mehr Glück, denn mit einem Kollegen vor Ort hat es seit dem kurzem Antritt meiner neuen Stelle direkt „gefunkt“; wir haben uns direkt angefreundet und er hat mich herzlich dazu eingeladen, über die Zeit bei ihm zu bleiben und mir Stadt, Land und Leute zu zeigen. Couchsurfing steht wieder auf dem Programm, nur diesmal ohne lange Suche und komische Überraschungen.

Uros holt mich direkt am Flughafen ab, wo meine Maschine an einem Freitag gegen 20 Uhr abends landet. Es ist tiefer Winter und in Deutschland herrschen die höchsten Corona-Inzidenzen seit Anbeginn der Pandemie. Serbien liegt bei den EU-Staaten auf der ganz roten Liste von Hochrisikogebieten, was aber lachhaft ist, da zur Zeit in diesem Land die Rate extrem viel geringer ist als in Deutschland selbst, Frankreich oder der Schweiz. Kurz nach meiner Rückkehr wird Serbien zurückgestuft. Ich versuche das Risiko meiner Reise bei aller Freude doch in einem vernünftigen Rahmen zu halten.

Wir beenden den Abend in einer Kneipe in der Nähe von Uros Wohnung mit Bier und Rakya. Wir beginnen den neuen Tag mit Kaffee und Rakya. In diesem Land ist einfach noch alles in Ordnung.



Zusätzlich zu türkischem Kaffee (der hier selbstverständlich „serbischer“ Kaffee heißt) und Rakya bestellt Uros eine Schlachtplatte der hiesigen kulinarischen Köstlichkeiten. Darunter finden sich Uštipci und Kajmak, die ich auch in Bosnien kennenlernen durfte, gebratener Ziegenkäse, Schinken, Ajvar und Spiegeleier. Darüber hinaus gibt es sehr typisch serbische Produkte, wie z.B. Duvan čvarci (fritierte Schweineschwartenstreifen) und Poja (Maismehlbällchen).


Insgesamt esse ich so viel, dass ich den ganzen Tag Bauchschmerzen haben werde. Dieses Phänomen werde ich all die folgenden Tage wieder und wieder erleben, nicht einmal der leckere Rakya kann meinen Magen auf Start zurücksetzen.

Der erste Tag in Serbien beginnt und Uros kann es kaum erwarten, mir alles auf einmal zu zeigen.



Das Wetter zeigt sich nicht gerade von seiner allerbesten Seite, aber das macht unserer guten Stimmung keinen Abbruch. Es ist Dezember, es ist grau und wir sind abseits der Innenstadt, also sind auch die Häuser grau und trist. In der direkten Umgebung gibt es drei gewaltig große Hochhäuser, die wie ein riesiges Sternenportal auf ihre Aktivierung warten. Ich habe den großen Sohn der Nation, Nikola Tesla, im Verdacht hier für ein weiteres, überdimensionales Experiment verantwortlich zu sein. Leider müssen wir erst einmal auf eine Demonstration verzichten.

Schnell ruft Uros ein privates Taxi über die App „CarGo“ zu uns und wir kommen rasch und günstig in die Innenstadt. Außer ein paar Bussen gibt es keinen öffentlichen Nahverkehr. Das ist sicher mit ein Grund, warum Belgrad dieses Jahr zum wiederholten Male den Preis für die verschmutzteste Stadt der Welt erhält. Damit hängt die Zwei-Millionen-Stadt sogar Dehli, Mumbai, Karachi und Wuhan ab. Ein trauriger Rekord.



Der mehr oder weniger motivierte CarGo-Fahrer setzt uns in der historischen Innenstadt ab, direkt gegenüber von Belgrads bestem Hotel am Platz, dem Hotel Moskau. Wir schlendern durch die Innenstadt und kommen auf den großen Platz mit einer Reiterstatue und dem Nationaltheater. Vor dieser Statue verabredet man sich mit seinem Date, erklärt mir Uros.

Wie mir in Bosnien-Herzegowina aufgefallen ist, hat man meistens ein Date mit einem Mädchen namens „Ivana“. Zumindest kam es meinen Freunden und mir damals so vor, als wenn es in dem Land nur Ivanas gäbe. Das ist natürlich ein grobes und unhöfliches Vorurteil meinerseits und Uros versichert mir, dass es in Serbien deutlich mehr „Jelenas“ und „Milicas“ gibt.



Wir durchqueren die schöne Innenstadt Belgrads und Uros zeigt mir Galerien und Künstlerläden. Er nutzt auch die Gelegenheit sich Karten für das kommende Iron Maiden Konzert zu sichern.

Von der Einkaufsmeile landen wir auf direktem weg zum Park und dem Kalemegdan, der großen Festung der Stadt, die strategisch günstig über dem Dreieck des Zusammenflusses aus Save und Donau thront.

Uros macht mich auch darauf aufmerksam, dass dies der Platz ist, an dem man wunderbare Bänke und einen imposanten Weitblick vorfindet, der sich perfekt für ein intimeres Kennenlernen eines Dates eignet. Ich stelle mir den Sommer vor, in dem eine große Zahl schüchterner junger Männer mit ihrer Ivana an den dicht zusammengestellten Bänken die ersten Hautkontakte suchen.



Die Festung wurde schön restauriert und lässt sich frei begehen. Neben einem Café gibt es auch ein offenes Militärmuseum, in denen die schönsten Kanonen ausgestellt werden, von denen die Stadt jemals beschossen wurde. Von frühen Feldhaubitzen bis hin zu einer Raketenbatterie findet sich alles in diesem Arsenal wieder.

Eine kleine historische Galerie befindet sich in einem Durchgang der Festung. Hier finden sich alte Kupferstiche der Stadt zum Kauf. Ich lerne, dass der Name der Stadt im Deutschen „Weissenburg“ lautet und damals auch so verwendet wurde.



Diese Stiche wurden allesamt von italienischen oder österreichischen Künstlern angefertigt – vor allem mit der Motivation den Feldherren ein Bild der Stadt zu liefern um sie taktisch klug angreifen zu können. In den Stichen sieht man also die Stadt in einem Zustand, bevor sie aufgrund des Stiches zerstört wurde. Die Welt ist irre.

Wir kehren in die Innenstadt zurück und machen eine Pause im Kaffee Moskau. Hier lerne ich eine weiteren Genuss Serbiens kennen: den „Mala Puna„.

Die Serben trinken gerne Espresso, doch man lässt diesen hier ein wenig länger durchlaufen, wodurch der dunkle Kaffee etwas milder wird. Daher ergibt sich der Name, der übersetzt „kleines volles“ bedeutet. Es schmeckt mir auf Anhieb und ich bestelle nur noch diesen serbischen Espresso.

Was mir auffällt ist, dass die Serben viel rauchen. Sehr viel. In jeder Bar, Kneipe, Restaurant sitzt man in dickem Tabakdunst. Für mich als Nichtraucher ist das schwierig.



Uros führt mich mit brennendem Eifer weiter durch die Innenstadt und wir erreichen das Regierungsviertel. Hier befinden sich das Rathaus und das Parlament direkt gegenüber voneinander. Nicht weit entfernt befindet sich der Tempel von Sveti Slava (Храм Светог Саве), eine brandneue orthodoxe Kirche, welche die letzten fünfundsechzig Jahre Bauzeit gerade abgeschlossen hat und jüngst erst eröffnet wurde. Auch wenn das Gebäude aussieht, als wäre es schon hunderte von Jahren alt.

Sveti Sava, der „heilige“ Sava, war der erste Bischof Serbiens vor 800 Jahren und der Nationalheilige. Seine sterblichen Überreste wurden angeblich an dieser Stelle vom osmanischen Herrscher Sinan Pascha verbrannt.



Erst 2020 wurde der Tempel fertig gestellt, nachdem der Grundstein 1935 gelegt wurde und am Ende sogar Vladimir Putin eine Finanzspritze hinzugab, um die goldenen Mosaike fertigzustellen.

Der Kuppelbau ist der Hagia Sophia nachempfunden. Innendrin wird man überwältigt mit der Pracht aus Gold. Mosaike und Fresken dokumentieren das Leben von Jesus, den Aposteln, den Kumpels der Freunde der Cousins von Leuten, die Jesus gesehen haben, und natürlich den Helden Serbiens. Dazu zählen die ersten Könige, darunter Uros I bis V, sowie allerlei Heiligen, darunter den Namensgeber der Kirche.

Mein Uros gibt mir einen geschichtlichen Überblick über die bewegte Geschichte des Landes, das stets ein Spielball der europäischen Mächte war, gespalten schon im Frühmittelalter zwischen Ost- und West-Rom, und später Teil des byzantinischen, des osmanischen und des österreichischen Reiches. Diese Landesgeschichte bietet genug Stoff für Helden.



Die kommenden Tage müssen wir auch wieder an die Arbeit denken. Der Winter trifft Belgrad hart und es schneit in wenigen Tagen so heftig, das überall in der Stadt Bäume umfallen und dicke Äste unter der Last des Schnees abbrechen und das Chaos im Straßenverkehr noch verschärfen. Wir haben noch einen Tag, bis die Woche beginnt, und Uros möchte mir noch seine Heimatstadt Novi Sad zeigen.

Es ist Montag und die Welt steht Kopf. Im Schneechaos ist die Stadt wie hypnotisiert. Beinahe läuft uns eine Frau auf einem Zebrastreifen vor das Auto, vor der ich Uros noch rechtzeitig warne. Mein Freund meint, es wäre bei einem Unfall ihre Schuld gewesen.

In Serbien ist es verboten Musik hörend und mit dem Smartphone in der Hand Straßen zu überqueren. Ich erinnere mich daran auf den serbischen Straßen noch vorsichtiger zu sein.

Für den fünfzehnminütigen Weg zum Büro brauchen wir eine Stunde. Nirgends sehen wir Schneeräumfahrzeuge und die Autos kämpfen sich mit durchdrehenden Rädern durch den hohen Pappschnee.




Einen Abend gebe ich Uros eine Auszeit und übernachte bei einer Couchsurfinggelegenheit am Rand der Stadt, in Novi Beograd. Hier bekomme ich noch einmal ein anderes Gefühl von der Stadt.

Es ist eine dystopische Landschaft aus schwarz und weiß, in der riesige Wohnkomplexe zu allen Seiten aufragen und in der Ferne im tiefen Nebel verschwinden.



Während des Meetings eines Nachmittags passiert es: das Internet fällt aus. Ein überqualifizierter Handwerker hat in seinem Eifer das Büro von der Außenwelt getrennt und kann das Problem nicht mehr lösen. Das ist eine perfekte Gelegenheit für Uros und mich in die Stadt aufzubrechen und eines der Museen zu besuchen. Diese schließen für gewöhnlich schon um 17 Uhr und sind damit regulär unter der Arbeitswoche schwer für uns zu erreichen.

Der große Sohn des Landes hat hier sein eigenes Museum: Nikola Tesla. Geboren im damaligen Österreich-Ungarn, in einem kleinen Dorf im heutigen Kroatien, lebend und wirkend in den USA, wurde seine Asche nach seinem Tod nach Serbien überstellt und seitdem in Belgrad mit Exponaten aus seinem Leben ausgestellt. Wir kommen gerade rechtzeitig, um an der letzten Führung des Tages, die zudem auch in Englisch stattfindet, teilzunehmen.

Wir betrachten ein paar Geräte, welche dem Traum eines Steampunk-Verrückten entsprungen zu sein scheinen, während wir auf unsere Führung warten. Schließlich kommt eine junge Frau nach vorne und stellt sich vor: „Good evening, everyone, and welcome to the Nikola Tesla museum. I will be your tour guide and my name is Ivana!“. Ich drehe mich zu Uros, sehe ihn an und sage: „Ha!“. Er kann sich das Grinsen nicht verkneifen.

Ivana führt uns durch die Exponate und zeigt uns Apparate zur Demonstration des Haut-Effektes sowie der ersten elektrischen Fernbedienung eines elektrisch angetriebenen Modellbootes.

Am Ende sehen wir auch die Urne, in welcher die Asche von Tesla aufbewahrt wird. Es ist eigenartig, diese hinter einem Schaufenster zu sehen, statt auf einem Friedhof.



Uros fährt uns auf die andere Seite des Flusses Save nach Novi Beograd, von wo wir nahe dem Hotel Yugoslavia das Ufer der Donau spazieren. Ein Restaurant- und Party-Boot nach dem anderen ist hier am Ufer vertäut und Uros beschreibt, welches Treiben hier im Sommer herrscht. Nun ist es still und ruhig. Nur unsere Schuhe geben ein leichtes Geräusch von sich, wenn sie in den Schnee einsinken.

Wir gehen das Ufer entlang weiter, bis wir im Stadtteil Zemun ankommen, der wir eine kleine eigene Stadt außerhalb Belgrads wirkt. Die Häuser haben einen schönen klassischen Stil, sind aber nicht so hoch wie in der Hauptstadt. Früher war dies das Zuhause der serbischen Mafia, erklärt Uros. Immerhin hatten die Verbrecher einen guten Geschmack, sage ich mir.

Wir kehren ein im Restaurant „Walter“, benannt nach Walter Sarajevski, einem berühmtem serbischen Schauspieler. Allerdings nicht so berühmt wie die Restaurantkette, wenn man nach der Google Suche seines Namens geht. Der Mann wäre aber sicher froh, wenn er wüsste, das man seinen Namen nun mit hervorragendem lokalen Essen verbindet. Wir genießen in seinem Angedenken Cevapi (ähnlich wie die bekannten kroatischen Cevapcici), Sucuk-Fleischbällchen und heimische Würste, natürlich mit ordentlich Kajmak, Ajvar und Rakya.



Es ist schon nach kurzer Zeit Tradition geworden, vor der Arbeit bei der Pekara vorbeizufahren, um Frühstück zu besorgen. Uros kennt eine gute und wir stellen uns dort jeden Tag in der Schlange an. Die Auswahl ist gewaltig und ich kann mich kaum zwischen Börek aus verschiedenen Sorten und anderen süßen oder herzhaften Köstlichkeiten im Blätterteig entscheiden.

Eines Morgens macht eine der Angestellten Fotos von der Auslage und ich scherze, ob es für Instagram ist. Die Frau winkt ab und meint, es wäre für den Chef, aber Uros und ich scherzen noch etwas weiter.

An der Theke angekommen erklärt er mit weiter, um was es sich bei welchen Produkten handelt und ich deute an, wie schwierig mir die Wahl bei den leckeren Optionen fällt.

Die Angestellte von vorhin findet uns so sympathisch, dass sie uns gleich noch eine zusätzliche Tüte voller Teilchen dazugibt. Ich weiß nicht, ob wir ihr speziell gefallen, oder ob es daran liegt, dass sonst niemand hier zu lächeln scheint.



Wir bringen auch den letzten Arbeitstag der Woche hinter uns und freuen uns darauf, dass Abends eine Weihnachtsfeier der Firma ansteht. Wir haben noch etwas Zeit, die Uros gerne nutzen möchte, um mir noch etwas mehr von der Geschichte des Landes mitzugeben. Wir lassen uns zum Haus der Blumen bringen und ich rechne mit einer Menge Botanik, auch wenn ich diese nicht direkt in den geschichtlichen Kontext bringen kann. Aber solche unsinnigen Fragen beantworten sich ja meist von selbst, wenn man etwas abwartet und schaut, was passiert. So auch diesmal.

Tatsächlich staune ich nicht schlecht, als ich in diesem Haus der Blumen die Fotografien der ruhmreichen Zeiten Jugoslawiens finde und ein großes Steinpodest in der Mitte des Hauses einrahmen.

Bei dem Podest handelt es sich um nichts Geringeres, als den Sarkophag des großen Diktators Tito, mit bürgerlichem Namen Josip Broz. Ich erinnere mich daran, wie ich in Konjic bereits seinen Bunker für die postatomaren Zeiten besucht und bereits dort etwas über seine Geschichte erfahren habe.

Fotos zeigen die Erfolge in zahlreichen Olympiaden sowie Szenen aus Titos Leben und seiner Beerdigung, zu der Kanzler aus West- und Ostdeutschland Helmut Kohl und Erich Honecker, Ajatollah Khameini des Iran, Fidel Castro aus Kuba und zahlreiche weitere illustre Staatsführer Blumen am Sarg ablegten.

Weitere Zeile des Museums zeigen Teile der Geschichte des Landes vor Tito, allen voran den 20. Jahrhunderts und der Konflikte in den beiden Weltkriegen.



Wir kommen zur Weihnachtsfeier der Firma Interventure, die nicht nur den 2021sten Geburtstag eines christliche Propheten begehen, sondern auch ihren eigenen zehnten. Dafür gibt es Kuchen und Geschenke für alle Mitarbeiter.

Die Feier wird ausgetragen als deutscher Weihnachtsmarkt mit deutschen Weihnachtsmarkthäuschen, bayrischer Wurst im Laugenweckchen sowie deutschem Glühwein. Mir klappt die Kinnlade herunter.

Zumindest bekomme ich dieses Jahr wohl noch meinen Weihnachtsmarkt, auch wenn ich dafür nach Serbien reisen musste, denn zuhause sind diese wegen Corona allesamt wieder abgesagt worden.

Uros stellt mich den Kollegen und Kolleginnen vor, die ich im Büro noch nicht angetroffen habe. Die erste, die ich kennenlerne, ist natürlich Ivana. Sie ist sehr irritiert, dass Uros und ich sie mit einem herzlichen Lachen begrüßen.



Die Feier ist zu kurz, um uns zufriedenzustellen, und wir nehmen ein CarGo zur Innenstadt. Mit dabei sind unsere Kollegen Ivana Aleksandra und Nemanja. Die neue Lektion des Abends lautet, das „Kafana“ kennenzulernen. Dort kann man auch Kaffee trinken, aber es ist allen voran ein Restaurant, in dem es um Musik und Geselligkeit geht. In den Lokalen ist viel los und wir müssen etwas herumfragen, bis wir ein paar Plätze finden.

Meine Serben kennen alle Lieder. Die Musikgruppe geht von Tisch zu Tisch und die Gäste bestellen die Lieder, die sie gerne hören möchten. Meine Freunde fragen mich nach einem Thema, das ich gerne hören möchte. Eine Geschichte. Ich überlege mir schnell eine Situation, zu der meine Freunde direkt das passende Lied kennen und für mich spielen lassen. Gefolgt von ihren eigenen Lieblingsliedern.

Nemanja hat den Abend frei von Frau und Kindern und ist unglaublich ausgelassen. Man erklärt mir das Wort „merak„: Eine Mischung aus positiven und eventuell auch negativen Gefühlen. Man kann einem Ort und unglaublich glücklich sein, gleichzeitig aber auch bedauern, dass man etwas anderes verpasst. Oder jemand fehlt. Man kann hin und her gerissen sein, zwischen Glück und Schmerz. Ich merke, dass dieses Wort etwas ausdrückt, was tief in mir drin sitzt und nun eine Bezeichnung hat.

Einen anderen Begriff lerne ich ebenfalls kennen: „Savicaije„. Dabei geht es um das starke Gefühl für eine Heimat, die Leute, den Geruch, das Essen. Das Gefühl, dass es irgendwo eine Region gibt, die zu einem gehört. Ich mag das schwermütige Vokabular dieses Landes.


Serbisch zum Überleben:

Zdravo – hallo

Dobre den – Guten Tag

Dobre utro – Guten Morgen

Nematschka – Deutscher

Jivili – Prost

Sto ima – wie geht’s?

Pivo – Bier




Einen Tag verbringen wir nochmal in Novi Sad, wo ich wieder seine besten Freunde und seine Eltern treffe. Am Abend bringt mich mein Freund Uros auch zu seiner anderen „Familie“, zumindest zu seiner selbst gewählten. Freunde von ihm haben vor sieben Jahren die Craft-Bier-Kneipe Pivopija eröffnet und wir feiern mit ihnen gemeinsam das Jubiläum. Rok, Igor und Goga gehört die Bar gemeinsam und die engsten Gäste sind eingeladen. In der Bar läuft die richtige Rockmusik und die Leute sind mir sofort sehr sympathisch.

Mein Eindruck ist, dass die Serben von außen sehr kalt und gleichgültig wirken. Aber wenn man mit ihnen spricht, bricht das Eis sofort und ich stelle fest, dass diese Menschen sehr herzlich und emotional sind. Diese Emotionalität geht in jede Richtung. Man wird schnell ins Herz geschlossen, aber aufgrund der Vergangenheit landet man im Gespräch mit einem Serben häufig und schnell beim Thema Politik und Krieg. Es ist gerade einmal 12 Jahre her, als im Jahr 1999 die NATO, darunter auch Deutschland, Belgrad und Novi Sad, große belebte Metropolen im Herzen Europas, bombardierte. Der Schock, der Horror und das Unverständnis über diese Angriffe steckt meinen Freunden noch tief in den Knochen; jeder weiß zu berichten, wie er den Einschlag von Bomben und Raketen in seiner nächsten Umgebung als Teenager erlebt hat.

Auch das Thema Kosovo ist wie eine heiße Bratpfanne, die man besser nicht anfassen sollte. In vielen Graffitis in Stadt und Land las ich bereits die Sprüche über den Verbleib des Kosovos in Serbiens Grenzen und auch in den Gesprächen wird deutlich, dass den Serben der Kosovo als „Wiege der Nation“ heilig ist.

Auch wenn das Thema Politik auch an diesem Abend hochkocht sind es wunderbare Stunden gemeinsam. Rok erzählt mir, wie er aus Slowenien nach Belgrad kam und dort eine Kneipe eröffnen wollte, da ihm sein Land und die Hauptstadt Ljubljana so klein vorkam, dass wie in einem Dorf jeder alles über jeden wüsste. Goga wiederum stammt aus Sarajevo und gelangte in den Wirren des Jugoslawienkrieges in Belgrad. Ihr kann ich meine eigenen Fotos und Erfahrungen aus meinem jüngsten Besuchs Sarajevos berichten.

Wir unterhalten uns natürlich auch über die schönen Dinge des Lebens, Whisky und Ivanas, und der gute Rok liefert uns sowohl Whisky als auch Bier nach. An mehr Ivanas muss das Pivopija noch arbeiten.



Auch die schönste Zeit geht einmal vorbei und meine ist in Serbien abgelaufen. Auch wenn das Wetter kalt, die Tage kurz und die pandemische Lage ungünstig waren hatte ich eine phänomenale Zeit bei großartigen Menschen. Ich kann Uros nicht genug für seine Zeit und Gastfreundschaft danken, auch wenn ich insgeheim hoffe, diese noch öfter ausnützen zu können.

Das nächste Mal muss ich im Sommer kommen und mit meinen neuen Freunden raus aus Belgrad zu kommen, um den Balkan mit seinen Farben und Aromen zu genießen, vielleicht abends draußen mit Wein und Pfirsichen zu sitzen und den wilden Thymian zu riechen. Ich kann es kaum ewarten.


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