Tagebuch Eintrag
Reisen mit Kind? Kein Problem. Auch wenn Leon erst 4 Monate alt ist – warum nicht? Die Reise nach Madeira läuft über ein paar Umwege. Da der Flug schon früh von Stuttgart startet quartieren ich wir uns bei Saras Freund Jörg ein, um uns in aller Frühe vom Taxi zum Flughafen zu bringen. Dort bringt Leon mit Zipfelmütze und barfuß das Herz des gestresstesten Sicherheitsbeamten zum Schmelzen. Das Baby macht die Reise gut mit und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, solange es regelmäßig gewickelt, gefüttert und in den Schlaf gewogen wird. Im Flugzeug selbst kommen Kinder und wollen seine Füße anfassen. Die Eltern sind nicht fern und schließen sich dem Fußfetischismus an.
Der Flughafen der Blumeninsel, gilt zu den schwierigsten der Welt und Piloten brauchen ein besonderes Training und die Lizenz, um hier landen zu dürfen. Die Winde um die hohen Berge auf dieser Vulkaninsel mitten im Atlantik sind heftig. Wir haben Glück und die Turbulenzen halten sich in Grenzen. Relativ sanft setzt die Maschine auf.
Vor dem nach dem mehr oder weniger bekannten Fußballspieler Christiano Ronaldo benannten Flughafen wartet Roberto und fährt zwei Erwachsene und ein Baby in einem riesigen Mercedes Sprinter zu ihrer Unterkunft.
Ich habe uns eine kleine Wohnung am Rand der Hauptstadt Funchal reserviert und dort wartet auch schon Susana auf uns zum Empfang.
Das Zuhause auf Madeira
Im Viertel Lido angekommen betreten wir unseren Wohn- und Arbeitsplatz für die nächsten drei Wochen. Das Internet ist schnell, allerdings werden wir die Wochen Ärger damit haben, da genau während unseres Aufenthaltes Leitungen neu verlegt werden und wir Zugang zu einer anderen Wohnung bekommen, um von dort zu arbeiten. Zur Verfügung steht uns auch ein Pool. Der ist so kalt wie die Luft in der Nacht und bietet eine gute Möglichkeit, um schnell wach zu werden.
Dafür ist die Aussicht grandios. Wir können die Stadt Funchal überblicken bis hoch zum Monte, dem Viertel, das bis auf den Berg liegt. Wir sehen auf der anderen Seite die Bucht und den Hafen. Es ist nicht viel Schiffsverkehr auf dem Meer unterwegs. Morgens kann ich ein paar Fischerboote beobachten und mittags die Touristenschiffe. Hin und wieder verabschiedet sich mit tiefem Ton des Horns eines der regelmäßig eintreffenden Kreuzfahrtschiffe.
Wir lernen die Nachbarschaft kennen
Das Viertel Lido ist allen voran touristisch geprägt. Ein Hotelpalast schmiegt sich an den anderen. Trotzdem behält es Charme und ist modern und mit Stil gebaut. Zum Glück scheint man einen Plan gehabt zu haben und nicht einfach den Baugrund an den nächstbesten Investor mit Plänen von kahlen Wohnfestungen verkauft.
Es gibt schöne Cafés und Restaurants, Sportplätze und Parks. Man kann die gepflegte Küste entlang spazieren oder sich dort sportlich beschäftigen. Da es keine Sandstrände auf Madeira gibt verpasst man auch nichts. Vielleicht konnte die Küste dadurch auch Großteils unangetastet bleiben.
Trotzdem kann man schwimmen gehen. An einigen Stellen haben die Einheimischen Treppen in den Stein gehauen oder angebracht, um in den Ozean steigen zu können. Ein paar Menschen wagen auch jetzt im Februar schon eine Runde im Atlantik.
Zuerst müssen wir etwas Einheimisches essen. Um die Ecke finden wir im Mari Feira gute Gerichte und das leckere lokale Bier Coral. Wie in Portugal wird Kaffee-Kultur auf Madeira sehr groß geschrieben und ein bica – ein Espresso – gehört am Ende zu jedem Essen dazu. Wir sehen auch, dass wir den Supermarkt Pingo Doce in Reichweite haben.
Kulinarisch ist die Küche klar portugiesisch geprägt und nirgends fehlt der berühmte und berüchtigte bacalhau. Ein paar einheimische Gerichte stechen heraus, so zum Beispiel espada com banana: Degenfisch mit Banane. Das bietet sich an, denn beides gibt es auf bzw. um die Insel reichlich.
Eine weitere Spezialität des Landes nennt sich espatada. Dabei hängt man einen Fleisch- oder Fischspieß vertikal auf und pflückt nach und nach die Stücke ab.
Mit Fisch und Fleisch lässt man den Gast auch gerne selbst sein Essen vorbereiten. Man erhält einen brennend heißen flachen Stein neben einem Teller rohen Lachses, Thunfischs oder Rindfleisch. Dann ist es einem selbst überlassen diese Stücke nach eigenem Belieben auf dem Stein brutzeln zu lassen. Dazu werden Soßen und Beilagen gereicht. Äußerst lecker!
Der Weg zum Hafen
Es ist Wochenende und wir nutzen die Zeit, um die Hauptstadt kennen zu lernen. Es ist ein Fußmarsch von zwanzig Minuten, um in der Einkaufsmeile zu sein. Wenn man kein Baby oder Fotoapparat dabei hat.
Wir folgen der Küste und sehen, dass scheinbar gerade ein Triathlon in der Stadt stattfindet. Menschen laufen oder radeln mit Nummern auf der Brust auf abgesperrten Straßen und auch im Hafen machen sich Ruderer auf einen Startschuss bereit.
Auf Jachten und Katamaranen schauen sich reiche Leute das Spektakel von der Ferne an und dazwischen tuckert winzig und gemütlich ein Replikat der Santa Maria, der Karavelle, mit der Kolumbus Amerika eroberte. Es herrscht ein reges Treiben.
Als erstes laufen wir fast durch Zufall über die Füße von Christiano Ronaldo. Oder zumindest seiner Bronze Statue mit zweifelhafter Ästhetik. Das Gesicht des Spielers sieht zu einer Fratze verzerrt aus. Offenbar hat der Künstler mehr Zeit in die detaillierte Beule in der Hose Christiano investiert.
Hinter ihm erregt dann noch sein eigenes Museum unsere Aufmerksamkeit, aber da dieses geschlossen ist können wir leider leider nicht mehr aus dem Leben und seinen Qualitäten des größten Sohnes der Insel erfahren.
Die Stunden der NAcht
Das Wetter hat seine Launen. An einigen Tagen stürmt es so sehr, dass es den Regen gegen unsere Scheiben peitscht und sich die Palmen draußen beunruhigend stark biegen. Dann haben wir auch wieder schöne und sonnige Tage, die von klaren und warmen Nächten gefolgt werden.
Ein typisches lokales Produkt der Insel ist nach ihr benannte Wein. Der schmeckt wie der verwandte Portwein und lässt sich von meinem Gaumen nicht voneinander unterscheiden. Aber es passt zu Portugal und den warmen Nächten.
Während morgens bis um 10 Uhr oft außer ein paar wenigen übermotivierten Joggern niemand auf den Straßen zu sehen ist blüht das Nachtleben. Sowohl in der Innenstadt als auch in Lido finden sich in den meisten Bars Musik von Gruppen. Das geht vom Einmannorchester über Bands mit klassischen Pop Songs bis hin zu klassischem Fado. Die Leute stehen auf den Straßen und amüsieren sich. Ein schöner Anblick und leider etwas, an dem wir nicht teilnehmen können. Vielleicht beim nächsten Mal.
Parque de Santa Catarina
Auf dem Weg von Lido zur Stadt kommt man automatisch am Park der heiligen Katharina vorbei. Dieser ist großzügig und mit viel Geschmack angelegt. Trotzdem verlaufen sich nur wenige Menschen hier ins Grün.
Der Park liegt erhöht und bietet einen tollen Blick über den Hafen. Die Gärten ähneln einem botanischen Garten, jedenfalls sind mir die meisten Bäume hier unbekannt.
Madeira ist beliebt bei Kreuzfahrtschiffen. Am ersten Tag ist der Hafen noch frei, aber in den Tagen danach gibt sich ein gewaltiges Schiff nach dem anderen die Ehre. Die deutsche „Mein Schiff“ und die „Aida“ überragen mit ihren zig Stockwerken die höchsten Häuser in der Nähe des Ufers.
Schwimmende Kleinstädte. Leon hat seine eigene Meinung dazu. Mitten im Parque de Santa Catarina mit Blick auf den Hafen wechseln wir seine Windeln auf dem kurzgeschnittenen Rasen.
Die Altstadt
Wir erkunden die Stadt und die schöne Avenida Arriaga, einer Allée aus Jakaranda Bäumen, im Zentrum. Die typischen blau-weißen Fliesen zieren auch hier die Wände der Häuser, wenn auch nicht so viel, wie in Lissabon.
Zahlreiche Cafés bieten zu einer Pause ein. Eine besondere Herausforderung ist es nun etwas zu finden, das auch eine Möglichkeit zum Windelwechseln hat.
Meine täglichen Ausflüge mit Leon
Was man bei Madeira direkt bemerkt ist wie grün die Insel ist. Die Berge sind überwachsen mit Bäumen und auch die Stadt ist mit Parks und Alleen grün gehalten. Die Stadt ist typisch portugiesisch und man hat den Eindruck, als hätte jemand die Alfama auf einer tropischen Insel nachgebaut. Denn dominant fallen uns all die Bananenpalmen auf. In Terrassen um die Stadt herum oder eingezäunt in Gärten mitten in der Stadt überall sehen wir Bananenstauden.
Dafür freut sich Leon über die Spaziergänge, die ich jeden Tag mit ihm unternehme. Lido liegt direkt am Wasser und man kann der Küste folgen. Am Horizont kann man bei klarer Sicht die unbewohnten Wüsteninsel erkennen. Auf der anderen Seite Madeiras kann man Insel Porto Santo sehen, allerdings nicht von Funchal aus.
Nicht weit von unserer Unterkunft findet sich auch einer der für die Insel bekannten „Levadas„: kleine Kanäle, die sich durch die Insel schlängeln und die Terrassen mit Nutzpflanzen bewässern. Dabei handelt es sich natürlich meistens um Bananen. Manchmal findet man aber auch ein paar alternative Obstbäume, wie zum Beispiel Mispeln.
Der Weg führt eine Treppe zwanzig Minuten lang steil den Berg hinauf, bis ich den Levada erreiche und diesem folgen kann. Es geht dabei hinter den letzten Reihen Häusern entlang bis durch die Plantagen. Ich finde ein Café und nutze eine Pause für einen bica. Leon hat nichts dagegen und schnarcht gemütlich weiter. Den Rückweg schlage ich über die Küste ein, wo es einen Abschnitt entlang sogar einen Strand hat. Große Kiesel machen schon das Laufen schwierig und niemand scheint hier jemals schwimmen zu wollen. Es ist das erste Mal, das Leon das Meer sieht. Er würde es zumindest sehen, wenn er nicht schlafen würde. Ein historischer Moment – verpennt.
Auf dem Rückweg beglückwünscht mich ein älterer Herr aus England zu meiner Motivation, so viel mit so einem kleinen Kind zu unternehmen.
Wir werden die nächsten Tage noch mehr nutzen. Wir werden gemeinsam das Viertel Monte auf dem Berg und seine botanischen Gärten besuchen und die Tage drauf ein Auto mieten, mit dem es ins Landesinnere und den Westen der Insel geht. Alleine werde ich mich auf eine atemberaubende Wanderung zum Pico Ruivo begeben.
Die straßenkunst von Funchal
Beim Stadtrundgang bemerken wir plötzlich eine Ansammlung schöner Graffitis an den Wänden und Türen. Rund um die Rua de Santa Maria haben sich Künstler ausgetobt und den alten Häusern Farbe gegeben. Im Jahr 2011 startete das Projecto artE pORtas abErtas damit dem eher tristen und gemiedenen Altstadtzentrum Attraktivität zu verleihen.
Dies kommt nicht nur durch Verwahrlosung. Ein Jahr zuvor sorgten heftige Regenfälle für eine Flutkatastrophe in der Stadt, bei der 42 Menschen ums Leben kamen und ein Teil der Innenstadt zerstört oder unbewohnbar wurde.
Mercado dos Lavradores
Auf den Straßen und dem Markt Mercado dos Lavradores Früchte bietet man die seltsamsten Früchte an. Neben Bananen, Kochbananen, Mangos, Papayas und Maracujas in den verschiedensten Variationen reihen sich Früchte, die ich noch nie gesehen habe. Da sind die grünen Tannenzapfen, die von den überall wuchernden Monstera Deliciosa stammen. Diese Früchte der Pflanzen, die genauso aussehen, wie die beliebten Heim- und Büropflanzen, schmeckt wie eine Mischung aus Ananas und Banane.
In den Auslagen gibt es die grünen Guaven, die von außen aussehen wie Limetten und von innen, wie kleine Wassermelonen. Dann hat es noch die Anona, die auch grün ist und eine Textur voller Dellen hat. Das Innere ist weiß, glitschig und voller schwarzer Kerne. Das Ganze kann man auslöffeln.
Kleine rote Früchte ähneln Tomaten und heißen so, sind es aber nicht: die tomate de árvore bzw. „Englische Tomaten“. Die Früchte schmecken ziemlich süß.
Auch Blumen werden in großer Zahl angeboten und unterstreichen den Anspruch der Einwohner ihre Heimat als Blumeninsel zu bezeichnen. Die Insel selbst duftet wirklich nach Früchten und Blumen. Obwohl wir direkt am Meer sind fehlt der typische Geruch nach Salz und Fischen.
Das heimische Abendessen mit FADO
Für zwei Wochen besuchen uns meine Eltern auf der Insel und der runde Geburtstag meines Vaters liegt gerade hinter uns. Als Geschenk gehen wir in ein kleines, aber hervorragendes Lokal namens Casa Portuguesa und lassen es uns dort gutgehen. Neben einem hervorragenden Menü aus einer Vorspeise aus Brot, Käse und Gemüse, einem Hauptgang aus Fisch und einer exzellenten Saballione als Dessert werden lokaler Rotwein und natürlich Madeirawein gereicht.
Zuguter Letzt betreten drei ältere Herrschaften das Lokal. Während zwei Männer auf einer klassischen und einer traditionellen Gitarre spielen bringt eine beleibte Dame einen Fado zum Besten, schwer der portugiesische Rotwein.
Es ist ein guter Ausklang, denn unsere Zeit in Madeira ist zu Ende. Die Insel wird uns in guter Erinnerung bleiben.