Tagebuch Eintrag
Nach unserem Date mit der jungen Frau in der abgelegenen Datscha haben wir unser nächstes Date gleich hier in der Stadt, und zwar mit Polina. Wie Olga ist sie auch eine Couchsurferin. Aus zeitlichen Gründen kann sie uns nicht beherbergen, aber immerhin abends treffen. Wir gehen in ein Irish Pub und erfahren von der jungen Studentin viele Dinge von Russland. In Sankt Petersburg hat der amtierende Präsident Wladimir Putin nicht viele Freunde. Diese Stadt ist ungewöhnlich weltoffen und modern. Offen gelebte Homosexualität ist hier kein Problem. Medien kann man dennoch nirgends trauen und die Gesetze in Russland sollen furchtbar sein und werden von der Korruption ad absurdum geführt.
Wir lernen auch, dass man sich nicht durch das uns bekannte „Nastrowje“ zuprostet, sondern das ganze auf russisch „Sastrowje“ heißt. Ersteres stammt aus Polen und hat erfolgreich in unseren Köpfen den russischen Trinkspruch verdrängt. „I love the German language“ hören wir nun auch hier von Polina.
„In Germany you have rules that make sense. In Russia you have rules to break them!“
Am nächsten Tag werden wir nicht noch einmal von einer überraschenden Einladung von unserem Plan abgehalten und laufen zur berühmten Eremitage, um dieses Schloss und Museum zu besichtigen. Dieselbe Idee haben jedoch ebenfalls hunderte andere Menschen und die Schlange steht schon vor Öffnung der Tore bis weit auf den Platz. Wir wundern uns darüber Stunden anstehen zu müssen, während unser Reiseführer davon schwärmt, dass diese Zeiten lange vorbei sind und jeder Tourist nun dank der Ticketautomaten rasch in dem großen Museum drin ist.
Aufgrund eines „technischen Problems“ ist diese Option an diesem Tag jedoch nicht gegeben. Das Warten ist richtig eklig. Neidisch blicken wir auf die eine oder andere Reisegruppe, die an der Schlange vorbei durch den Eingang verschwand. Wir erleben jedoch eine positive Überraschung, als wir endlich am Kassenhäuschen stehen. Der Eintritt ist heute ausnahmsweise frei – und wir sparen umgerechnet 25 Euro pro Person.
Eremitage: 25 Euro / frei
Leider darf ich meine Kamera nicht mit in die Eremitage hinein nehmen
Ich hatte einmal viele Stunden fasziniert im Louvre verbracht und man musste mich hinauszerren, als es abends schloss. Die Eremitage soll angeblich dreimal soviel Ausstellungsstücke haben. Katharina die Große ließ das Schloss bauen und sammelte schon zu ihrer Zeit große Mengen an Kunst. Neben vielen Werken der berühmtesten Künstler der Renaissance ganz Europas finden sich auch andere legendäre Werke.
Gegenstände aus dem Hausstand der russischen Zarenfamilie und auch einige der legendären Fabergé-Eier sehen wir. Aber auch viele historische Stücke, Steintafeln und Büsten aus dem babylonischen Palmyra oder Sarkophage aus Ägypten sind im Untergeschoss ausgestellt.
Bekanntheit haben auch die Katzen der Eremitage. Da viele Ausstellungsstücke damals beliebte Nahrung von kleinen wärmeliebenden Nagetieren wurden stellte man ein Regiment Katzen ein, um die Kunstgeschichte der Menschheit zu verteidigen.
Durch bessere und modernere Abwehranlagen wurden die Katzen jedoch arbeitslos, aber nicht entlassen. Sie streichen immer noch durch die Gewölbe und im Hof kann man beobachten, wie man sie noch voller Dankbarkeit kugelrund füttert.
Es gibt noch eine Kleinigkeit, die wir in Sankt Petersburg zu erledigen hatten: den UAZ-Ersatzteilladen besuchen. Das war der ursprüngliche Grund für unsere Reise. Wir können natürlich keine Autoteile in unserem Gepäck transportieren, aber wir wollen mal sehen, was es alles gibt; außerdem braucht unser Wagen einen neuen Motor, da es den alten noch in Bayern zerlegt hat.
Wir sehen viele interessante Winden, Getriebe und Assets zum Anbau. Der UAZ wird wirklich geliebt und wie ein Legoauto von Liebhabern beliebig ausgebaut. Man ruft einen Typen, der Englisch spricht, damit wir erklären können, warum wir deutsche Touristen uns hier in diesen unwirtlichen Rand von Sankt Petersburg verirrt haben.
Wohnblöcke und Werkstätten
hier gibt es Ersatzteile für unseren UAZ
Entgeistert blickt der Mann uns an. Wir hatten mehr Begeisterung erwartet. „You have UAZ in Germany? Whhyyyyy??? Russian cars are not good. You have Mercedes, Audi, BMWäääää!“ Tja, aber keine vierradangetriebenen Kastenwägen mit hundert möglichen Ausbaustufen. Pimp my UAZ. Uli zeigte mir einst ein Video, in dem gelangweilte Sibirier sogar einen Raupenantriebuntersatz für einen UAZ entwickelt hatten. Der UAZ Verkäufer hat in einem Punkt jedoch Recht. Die Qualität der Autos ist das Gegenteil der Qualität des Konzeptes, das dahintersteckt. Denn die Verarbeitung der gutdurchdachten Nutzfahrzeuge ist katastrophal. Ulis Plan ist diesen Nachteil durch eine Komplettüberarbeitung wieder auszugleichen.
Auch soll es bei Fahrten durch den Großteil russisch beeinflusster Länder Asiens kein Problem dabei geben Ersatzteile aufzutreiben.
Nun ist es jedoch ein Problem, da wirtschaftlich durch die Sanktionen gegen Russland aufgrund der Ukraine-Krise (Annexion der Krim 2014, Seperatistenkämpfe im Donbass) wieder der Eiserne Vorhang aufgebaut wurde. Einen Motor kann man kaufen, aber nicht nach Deutschland schicken. Nur innerhalb Russlands ist er zu bekommen, und dahin können wir mit unserem UAZ in seinem Zustand verständlicherweise nicht. Wir müssen also mit einem anderen Transporter mindestens bis nach Kaliningrad fahren, wo es die nächstgelegene UAZ-Niederlassung gibt. Das ist keine Option für uns. Wir bedanken uns und verlassen den Laden mit dunklen Gedanken, aber schönen Eindrücken von spannenden Autoteilen. Uli wird später in Deutschland feststellen, dass man sich durchaus den Motor in Einzelteilen schicken lassen kann.
„You have UAZ in Germany? Whhyyyyy??? Russian cars are not good. You have Mercedes, Audi, BMWäääää!“
Als ich eine Post sehe fällt mir ein, dass ich noch ein paar Postkarten an meine Freunde schicken möchte. Ich merke mir krampfhaft die russischen Worte für „одиннадцать“ („elf“), „Марки“ („Briefmarken“) und „Открытки“ („Postkarten“), um diese Worte mit einem freundlich lächelnden „Спасибо“ („danke„) vor einer winzigen alten Dame zu rezitieren. Bedächtig, mir in die Augen sehend, wiederholt sie jedes einzelne Wort, was ich mit einem „Да“ („ja“) bestätige. Dann beginnt ein ungeahnter Marathon. Sie kramt in Schubladen und holt unglaublich viele Bündel Briefmarken heraus. Sie schreibt mir auf einen Zettel, dass jede Postkarte 35 Rubel an Marken braucht, das also 11x.
Ich habe die Postkarten jedoch nicht bei mir. Scheinbar gibt es aber keine 35-Rubel Marken. Auch keine 30-Rubel Marken. Auch keine 5 Rubel-Marken. Warum auch immer.
Die Lady beginnt mit dem Eifer einer Fließbandarbeiterin elf 20-Rubel-Marken, elf 10-Rubel-Marken, elf-1-Rubel-Marken und zweiundzwanzig 2-Rubel Marken auszuschneiden und mir einem großen Bündel in die Hand zu drücken. Die muss ich nachher alle auf die Postkarten kleben. Auf denen wird nicht mehr viel Platz für eine Nachricht drauf sein.
Wir versuchen wieder ein gutes russisches Lokal zu finden, doch in diesem Teil der Stadt finden wir nur Dönerbuden oder chinesische Restaurants. In einem abgeranzten Laden finden wir endlich etwas Russisches, doch das Essen dort schmeckt so schlecht, wie das Innere des Restaurants aussieht.
Die Stadt hätte uns etwas besser verabschieden können, denken wir uns – und die Stadt antwortet. Im Schein der Nacht haben wir wieder eine atemberaubende Kulisse, um wunderbare Fotos zu machen und mit guten Erinnerungen am in ein Flugzeug nach Nordkaukasien zu steigen.