Tagebuch Eintrag
Paraguay ist nicht vielen Menschen in Europa ein Begriff, geschweige denn, was sich dort befindet. Momentan findet sich in den deutschen Medien Paraguay nur als das Land wieder, in das sich Corona-Leugner, Reichsbürger oder andere durchgeknallte Menschen aus Deutschland zurückziehen in der dummen Hoffnung, dort nicht vom Staat gegängelt zu werden. Bei Youtube finde ich mehr Videos über heulende Leute, die erklären, wie man wieder nach Deutschland zurück auswandern kann, als Leute, die noch versuchen andere Dumme in ihre Kolonien zu locken. Über die Natur und die Schönheit des Landes finde ich unter dem Namen des Landes gleich gar nichts. Es ist also terra incognita für mich und nicht abzusehen, was wir in Paraguay vorfinden werden.
Die Reise stellt uns gleich vor mehrere Herausforderungen. Bereits 2020 plante ich eine Weltreise, verkaufte alle meine Sachen, gab meine Wohnung und meinen Job auf und war bereit loszureisen. Was soll schon passieren? Eine Pandemie, wer kann damit rechnen. Ich fand trotz der Umstände einen neuen Job, eine neue Wohnung und eine kleine Familie. 2022 scheint die Pandemie greifbar und berechenbar zu sein. Sara und ich beantragen eine lange Auszeit, suchen uns über die Ferne ein Auto, Flüge, Routen. Was soll schon passieren? Ein dummer autokratischer Despot, der Russland regiert, strebt nach der Weltherrschaft und greift die Ukraine an. Die Welt ist angespannt, die Nato-Länder schließen sich zu einer Front zusammen und ein Hauch von Armageddon liegt – wieder einmal – in der Luft.
Abgesehen von abertausenden von Toten und Flüchtigen geht auch die Weltwirtschaft deutlich runter. Meine Ersparnisse sind plötzlich nur noch einen Teil Wert. Der Euro sinkt katastrophal in seinem Wert und vor allem im Verhältnis zum US-Dollar, in dem ich das Auto in Paraguay bezahlen muss. Wir finden Flüchtlinge, denen wir unsere Wohnung überlassen können, doch leider springen die uns auch im letzten Moment wieder ab, weil sie etwas für sie einfacheres gefunden haben. Wir wohnen in einem Dort im Schwarzwald und der Weg nach Freiburg für Arbeit, Ämter und Schule, ist beschwerlich.
Wir ziehen unseren Plan trotzdem weiter durch. Unser Auto ist Wochen lang in der Werkstatt und wir wissen nicht, ob es für die ganze Dauer der Reise dort bleiben muss. Wegen Covid-19 haben die Flughäfen einen Großteil ihres Personals entlassen und nun, in 2022, stellen sie fest, dass sie kein Neues eingestellt haben. Die Ferienzeit kommt und hunderte Meter lange Schlangen zieren die Check-In Schalter sowie die Sicherheitskontrollen. Für die Reise besorgen wir uns einen speziellen und teuren Reisekindersitz, der sich kurz vor dem Flug als defekt herausstellt. Unser Gastgeber in Asunción sagt uns kurzfristig ab, da seine Kinder offenbar Corona-Symptome haben. Man kann nicht sagen, dass unsere Reise einfach beginnt. Aber wir ziehen es durch!
Die Reise von Deutschland nach Asunción
Zumindest neben unserem Auto. Sara und Leon sind mit auf der Reise durch Südamerika. Dafür haben wir nach langer Recherche das passende Auto in Paraguays Hauptstadt Asunción gefunden. Ich fand den Kontakt zu Esteban in Facebook. Er hat einen üppigen Toyota Hiace von 1996 zu verkaufen, ausgestattet mit Allradantrieb, viel Raum und einer Camperausstattung durch ein ausklappbares Bett, eine kleine Küche und sogar ein kleines Badezimmer mit Dusche. Die komplette autarke Offroad-Ausstattung plane ich in den Monaten vorher mit Esteban über zahlreiche Videotelefonate und Nachrichten.
Unsere Reise führt von Frankfurt zuerst nach Sao Paolo für einen Zwischenstopp. Wir scheinen die einzigen Deutschen im Flugzeug zu sein, alle sprechen uns ganz selbstverständlich auf portugiesisch an und wundern sich, dass wir die Sprache nicht können. Nach einem zwölf Stunden langen Flug mit dem Baby gönnen wir uns eine Pause in einem Hotel im Flughafen, bevor es nach Asunción weitergeht.
Der Flug ist zwar nur zwei Stunden lang, aber dafür haben wir das Flugzeug gefüllt mit enthusiastischen Fußballfans, die ihren Club Palmeiras (ein Teil Sao Paolos) anfeuern. Anscheinend findet in den kommenden Tagen ein großes Spiel zwischen den beiden Städten statt. Leon ist von den singenden Fans glücklicherweise nicht eingeschüchtert sondern fragt sich mit großen Augen, was da wohl vor sich geht. Wie auch zuvor auf der Reise nach Madeira und in den Iran hat er sämtliche Aufmerksamkeit und Sympathien im Flugzeug in Kürze auf sich gezogen. Ein paar der brasilianischen Fans bieten uns an die Plätze mit ihnen ganz vorne zu tauschen, wo es deutlich ruhiger ist. Wir nehmen dankend an.
Während unserer Zeit in Südamerika stelle ich fest, dass sich das halbe Leben der Leute um Fußball dreht. Sei es in den Medien oder täglichen Gesprächen, die Menschen sind verrückt nach Fußball. Wir sind gespannt auf die Weltmeisterschaft 2022, die uns am Ende des Jahres bevorsteht.
Esteban schafft es leider nicht vom Flughafen abzuholen, da er im Stau festsitzt. Mit einem Uber kommen wir in eine Unterkunft im Norden der Stadt. Wir richten uns häuslich ein und schlafen erst einmal lange.
In den nächsten Tagen werden wir einiges über die Menschen in Paraguay herausfinden. Die Menschen des Landes können einem selbst nicht viel über Sehenswürdigkeiten in Paraguay erzählen. Aber das Essen soll gut sein.
Wir erreichen Paraguay mitten im Winter. Es ist der 28. Juni, die Wintersonnenwende am 21. Juni ist gerade vorbei und die Tage so kurz, wie im Jahr nur möglich. Die Sonne geht bereits kurz nach 17 Uhr unter und trotzdem ist es richtig warm.
Während sich die ersten Tage nach unserer Ankunft die Temperaturen rund um 20 Grad halten, steigt das Thermometer die Tage später auf bis zu 30 Grad Celsius. Mitten im Winter. Viele Paraguayaner sagen es uns, aber es ist schwer zu glauben, was für eine Hölle diese Stadt erst im Sommer sein muss.
Wohnen im Hipster-Viertel
Viele kleine Straßen bestehen nicht nur noch aus Kopfsteinpflaster – nein – es sieht so aus, als wäre hier ein Fluss verlaufen und hätte seine Wackersteine zurückgelassen. Dafür finden wir nicht weit von uns das Café Karu, das uns mit seiner Qualität der Kaffees, Tees und Backwaren tief beeindruckt.
Wir befinden uns etwas im Norden der Stadt und Esteban erzählt uns, dass es hier eine reiche Gegend ist und die Preise unerschwinglich sind.
Mit meinem ungeübten Blick sehe ich allerdings nur wenige Glaspaläste, während der Rest normal bis renovierungsbedürftig aussieht.
Modern oder alt, Stromausfälle treffen immer wieder lokal ganze Wohnblöcke. Es geschieht besonders Nachts, dass die Lichter flackern und schließlich ganz ausgehen. Manchmal auch nur in einzelnen Häusern.
Einkaufen
Wir merken, dass das Land gar nicht so billig ist, wenn auch günstiger, als in Deutschland. Ein Einkauf kostet und zwölf Euro und ein sehr gutes Frühstück fünf. Pro Gigabyte Internet zahlt man ebenfalls einen Euro. Der Liter Benzin liegt hier gerade bei 1,20 Euro, während es in Deutschland momentan 2 Euro sind.
Auch in Südamerika liegen die Preise momentan extrem über der Norm und stellen Leute mit der Abhängigkeit zum Pendeln vor ein Existenzproblem.
Die Innenstadt
Wir streifen durch die Innenstadt. Diese liegt wie ein winziges Manhatten auf einer Halbinsel, die durch den Fluss geformt wird. Quadratische Blocks umfassen kleine Häuser und Hochhäuser, Burchbuden und Glaspaläste. Es gibt wenige Sehenswürdigkeiten. In der Innenstadt gibt es den Parque Uruguay, in dem es viele Statuen gibt, und den größeren Parque Catedral, in dem das große Monument, der Pantheon del Heroes, steht.
In der ganzen Stadt kommen wir einfach mit Uber von A nach B. Auch die App Bolt steht zur Verfügung und wird von denselben Fahrern und denselben Kunden genutzt.
Nach einigen Empfehlungen besuchen wir das Restaurant Bolsi. Das ist auch wirklich randvoll und Leute stehen Schlange, um einen Platz zu bekommen. Aus unserer Perspektive ist das Restaurant gut, aber den Hype verstehen wir nicht.
Dafür fallen uns zwei Dinge auf. Erstens gibt es in der Stadt viel Straßenkunst. Sowohl in der Innenstadt, als auch in den Außenbereichen zieren große Graffits die Hauswände.
Zweitens sehen wir in der Innenstadt viele Indios, die Kunstgegenstände verkaufen. Alle von ihnen wirken sehr traurig.
Die Leute sind aber freundlich. Wir kommen schnell ins Gespräch. Selbst mitten in der Stadt wünscht mir ein Jogger noch einen guten Tag. Es gibt aber auch so gut wie keine Touristen in der Stadt. Vermutlich auch nicht im Land. Wenn wir etwas wissen wollen uns unser Glück auf Englisch versuchen, sei es im Geschäft oder auf der Straße, kommt schnell jemand herbei, der seine Hilfe für die Übersetzung ins Spanische anbietet.
Plaza Independencia
Unmittelbar gegenüber des Präsidenten- und des Justizpalastes gibt es einen schöne, idyllischen Platz mit Blick über die Stadt. Und Bretterbuden. Ich bin extrem verwundert, als mir die spontan zusammengehämmerten Hütten auffallen. Zwischen den Bäumen und Wegen haben Menschen Unterkünfte und sogar kleine Läden gebaut. Mein erster Gedanke war, dass es sich hier um einen Markt handelt. Meine erste Erkundung führt allerdings direkt in die Privatsphäre von Menschen.
Warum das so ist bleibt mir ein Geheimnis. Gab es eine Krise, in der die Menschen ihr Heim verloren haben? Ist es ein Provisorium?
Die Stadt passt auf, es gibt viel Polizei und man hat den Bewohnern Toilettenhäuschen zur Verfügung gestellt.
Später spreche ich Marcos und Soledad darauf an, ein Paar, das hier lebt und ich bei Couchsurfing kennenlernte. Marcos erklärt mir, dass es sich bei den Bewohnern des Plaza Independencia um Indios handelt, die gegen die Zerstörung ihrer Heimat protestieren. Sie werden hier geduldet, aber der Protest hält schon Jahre an und hatte leider wenig Erfolg.
Der Fluss Paraguay
Die Stadt hat eine sehr ungewöhnliche Lage. Sie liegt direkt am Fluss, dem das Land seinen Namen verdankt. Er schlängelt sich am Rand der Stadt entlang und trennt sie von Argentinien. Man kann von der Hauptstadt also direkt ins Nachbarland schauen. Recherchen über die Historie des Landes zeigen mir, dass es einen Krieg gab, in dem Argentinien und Brasilien einen großen Teil Paraguays unter sich aufteilten und das Land zwei Drittel seiner Fläche einbüßte. Wir merken aber nichts davon, dass ein Einwohner Paraguays deswegen schlecht auf eines der anderen Länder zu sprechen wäre.
Direkt am Rande der Innenstadt gibt es einen kleinen Park, einen Strand und ein naturbelassenes Feuchtgebiet, in dem sich viele Vögel tummeln: die Costanera. Diese Bucht hat keinen Ausgang und außer ein paar Ruderern befinden sich hier keine Schiffe. Dafür rote Schnepfen, weiße Reiher und bemerkenswert große Greifvögel, die in Schwärmen nach essbaren Resten suchen.
Essen in Paraguay
Wir erhalten die Einladung von Esteban, ihn und seine Familie bei sich zuhause zu treffen und ein richtiges paraguayisches Event zusammen zu haben. Das bedeutet viel trinken, essen und ein üppiges BBQ. Leon wird von Frauen und Männern, jung und alt, von vorne bis hinten geknuddelt, und das kleine Kind genießt es herumgereicht zu werden und die Nasen fremder Menschen zu greifen. Selbst die neunjährige Tochter Estebans strahlt, als sie Leon durch die Gegend trägt. Die angestellten Frauen, die Haushaltshilfe und die Betreuerin der alten Großmutter und die Köchin reißen sich richtig um den Kleinen.
Zu essen gibt es zuerst bori bori, eine Hühnersuppe mit Mais. Danach gibt es chipa, ein Brot aus Mais und Käse, das es im ganzen Land in den verschiedensten Variationen zu finden gibt. Dazu reicht mir Esteban caña loco, eine Mischung aus lokalem Rum (den man hier caña, also einfach nur „Zuckerrohr“ nennt) sowie Pomelosaft und Honig. Letztendlich tischt Esteban Spare Rips und eine dicke Rinderschulter auf. Rindfleisch kostet in Paraguay kaum etwas. Es gibt mehr Kühe als Menschen in diesem Land, sagt Esteban.
Ich sehe Leute in den Straßen auch mit Mate-Tee laufen, manchmal sogar auch mit den Geräten dazu, wie extra Yerba oder eine riesige Thermoskanne für das richtig temperierte kalte Wasser. Man trinkt seinen Yerba hier mit Eis und nennt in Tereré. Es schmeckt extrem erfrischend und ich mag es sofort.
Als Beilage hat man gerne mjebú. Diese kleinen Fladen sind unglaublich trocken und enthalten eine nicht weniger trockene Schicht Käse. Daneben erhalten wir auch eine andere Kuriosität: sopa paraguayana. Bei dieser Suppe handelt es sich allerdings um einen Kuchen aus Mais, Ei und Käse. Esteban erzählt mir die Legende davon so, dass jemand eine Suppe machen sollte, die aber zu lange gekocht wurde und schließlich härtete. Aber geschmacklich war dieser Unfall so gut, dass man das Rezept, aber auch den Namen, beibehielt.
Der Kauf des Autos
Bereits im Februar haben Esteban und ich uns in Facebook kennengelernt, als ich mich auf die Suche nach einem fahrbaren Untersatz für unsere Elternzeit in Südamerika machte. Leider gehen ein paar Dinge schief.
Esteban holt mich am Tag nach unserer Ankunft in Asunción mit dem neuen alten Wagen ab, damit wir eine Probefahrt machen. Eigentlich sollte der Wagen schon längst fertig sein, doch die Arbeiten am Interior und an den Solarpanelen nahm Wochen länger in Anspruch, als geplant.
Ich teste den Wagen so gründlich, dass wir am Ende liegenbleiben. Später stellt sich heraus, dass die Treibstoffpumpe des Dieselmotors defekt zu sein scheint. Die Suche nach dem Problem und seine Behebung wird vier Tage in Anspruch nehmen.
Im Anschluss stellt Esteban fest, dass am folgenden Wochenende die „TransChaco“ stattfinden wird – ein riesiges Ereignis, die größte Ralley des Landes entlang des wilden Flusses Chaco – und dadurch unglücklicherweise alle Werkstätten ausgebucht sein würden. Das kostet uns eine weitere Woche.
Letztendlich dauert die Arbeit am Wagen so lange, dass Esteban selbst in Bedrängnis gerät, als seine Frau zur Entbindung des gemeinsamen Kindes ins Krankenhaus muss.
Drei Wochen müssen wir in Asuncion ausharren, bis wir endlich auf die Straße kommen.
Esteban hilft mir bei der Bürokratie. Er findet einen Notar, der die Übertragung des Wagens rechtlich für uns festhält. Er erstellt ein Dokument, das mich als neuen Besitzer des Wagens auszeichnet. Dann müssen wir die Registrierung des Wagens in der Stadt eintragen. Dafür bekomme ich ein weißes Kärtchen. Dann muss ich die Registrierung des Wagens auf mich eintragen. Dafür bekomme ich ein grünes Kärtchen. Und dann muss der Wagen für Paraguay und den Rest Südamerikas versichert werden – dafür erhalte ich ein weiteres grünes Kärtchen.
Praktisch – man muss sich nicht selbst in den langen Schlangen vor einem Amt anstellen. Man kann jemanden für Geld beauftragen, das für einen zu erledigen. Wir müssen nur warten.