Tagebuch Eintrag
Eine lange Strecke Trostlosigkeit bringt uns von der absurden Touristen-Oase nahe Ica an die Stadtgrenze der Hauptstadt Perus. Kurz vor Lima finden wir eine gute Möglichkeit zur Übernachtung. Ein Ehepaar lebt in einem luxuriöses Haus direkt am Strand und lädt Reisende ein und lässt uns vor ihrem Haus über Nacht bleiben sowie die Toilette und das Waschbecken des Gartens nutzen.
Ich bereite mich mental darauf vor morgen die Hölle zu betreten und die Zehnmillionenstadt Lima zu durchqueren.
Tag 2 ohne Panne
Die Wellen donnern die ganze Nacht hindurch wie gewaltige Hämmer auf das Ufer. Es klingt so beruhigend wie bedrohlich. Um fünf Uhr sind wir wieder wach und draußen ist es hell.
Javier sagt, dass man von seinem Haus aus häufig Seelöwen und Delfine sehen kann. Manchmal sogar Wale. Wir sehen zumindest Pelikane.
Sehr langsam packen wir unsere Sachen zusammen und ich kümmere mich um ein paar Dinge am Auto. Wir wollen uns erst nach der Rush Hour in den Verkehr der Hauptstadt des Straßenchaos werfen.
Wir nehmen wieder die Panamericana, welche als geschlossene Schnellstraße durch die Stadt führt. Diese Autobahn ist kostenpflichtig. Schon über Land mussten wir zumindest einmal am Tag Maut zahlen. Aber hier stehen wir alle zehn Minuten an einer Mautstation.
Die Transitstrecke führt trotzdem verhältnismäßig rasch durch die Stadt. Die Straße hat mehrere Fahrbahnen, aber die Autos fahren auch dazwischen, wenn sich genug Platz bietet. In jede mögliche Lücke quetscht sich immer ein Auto, Bus oder Lastwagen. Jegliche Aktion wird durch Hupen angekündigt.
Busse halten ständig an nicht gekennzeichneten Haltestellen und blockieren die rechte Fahrbahn. Verlassen sie die Haltestellen wieder blockieren sie gleich auch die Fahrbahn daneben, da vor ihnen immer noch ein anderer Bus hält.
Um die Verkehrssituation in Lima zu beschreiben zitiere ich ein paar Verhaltensregeln, die ein anderer Reisender auf seiner Seite limaeasy.com schön zusammengefasst hat:
Verkehrsregeln für Lima
Wenn du mutig bist und trotzdem versuchen möchtest, die Stadt zu durchqueren, beachte die folgenden grundlegenden Verkehrsregeln, welche mit einem lachenden und einem weinende Auge die Realität widerspiegeln:
limaeasy.com
- Ignoriere jegliches Hupen, es sei denn, du suchst ein Taxi.
- Um rechts abzubiegen solltest du dich NIEMALS rechts einordnen. Drängle dich stattdessen in die erste Reihe, hupe, und biege dann vor allen anderen Fahrzeugen ab, um ihnen die Straße zu blockieren.
- Um links abzubiegen, ordne dich NIEMALS in der Abbiegespur ein, wenn du nicht 2-3 Ampelphasen warten möchtest, bis du an der Reihe bist. Fahre stattdessen an allen Linksabbiegern rechts vorbei und schneide diesen dann den Weg ab, wenn du scharf einschlägst und vor den anderen überholst. Vergiss nicht dabei wild zu hupen.
- NEVER use turn signals, because the one behind you will take advantage of knowing what you are about to do.
- If can’t do without turn signals, just keep your hazard lights on all the time and the clicking sound might comfort you, while confusing at the same time everybody else.
- Fußgänger können zum Problem werden, daher solltest du stets hupen. Sollte eine Person unerwarteterweise nicht sofort von der Fahrbahn springen, dann muss der Fußgänger betrunken sein. Hier heißt es vorsichtig sein, er könnte dein Auto angreifen.
- Vergiss jegliche Regeln für Ordnung beim Einparken, die du gelernt hast. Fahre in jede Parklücke genau aus der Richtung so, wie du kommst, damit du den Fahrzeugen um dich herum auf die beste Art und Weise das Verlassen ihres Parkplatzes verhindern kannst. Vergisst du diese Regel wird sofort ein anderer erfahrener Vorwärts-Einparker in die Parklücke vor dir hineinrasen und dir keine Chance lassen.
- Halte NIEMALS an einem gelben Ampellicht, wenn du Auffahrunfälle verhindern möchtest. Ein gelbes Licht bedeutet in Peru „mach schnell, bevor du noch halten musst!“ Ausnahme: Taxis und Minibusse nutzen die Chance für zusätzliche Einnahmen.
- Starte niemals, sobald die Ampel grün wird, sonst fährst du in ein Auto hinein, dass gemäß den oben genannten Regeln vor dir links oder rechts bbiegen möchte.
- Nicht vergessen: Sonntags, an Feiertagen und spät in der Nacht brauchst du nicht an roten Ampeln halten.
- Wenn du siehst, dass jemand mehrere Blocks entfernt die Straße überqueren möchte, solltest du unbedingt laut und häufig hupen, damit man dich schon von Weitem kommen sieht
- Fall eine Ampel neben dir die Farbe von Rot zu Gelb wechseln sollte musst du unbedingt hupen, um den Autos neben dir klarzumachen, dass es gleich Grün wird.
- Nutze jede Gelegenheit, um jemanden zu überholen und dabei zu hupen.
- Das Wort“PARA“ (Spanisch für STOP) auf jedem Verkehrsschild bedeutet „HUPEN“ – keine weitere Aktion notwendig.
- Wenn du Zweifel hast, was du tun sollst, dann einfach hupen.
- Wenn du Fußgänger siehst, welche die Straße überqueren, gib Gas. Und hupe.
- Wenn du rechts abbiegst und dabei einen Fußgängerweg überquerst hupe und beschleunige. Die Fußgänger in Peru wissen, dass sie auch bei Grün warten müssen.
- Noch einmal: Im Zweifel immer hupen.
- Das Prinzip der Größe: Wenn du das größere Auto hast, dann hast du auch Vorfahrt.
- Das Prinzip des Alters: Wenn du das ältere Auto hast, dann hast du auch Vorfahrt.
- Das kombinierte Prinzip von Größe und Alter: Wenn du das größere und ältere Auto hast, dann hast du auch Vorfahrt und brauchst nicht einmal hupen! (Einzige Ausnahme!).
- Falls du dir nicht all diese Regeln merken kannst… einfach hupen!!
Wir überleben den Weg durch die Stadt, auch wenn die chaotische Verkehrsplanung, die man vermutlich einem mit Extasy zugedröhnten Brüllaffen überlassen hat, den Weg zusätzlich erschwert. Wenn ich mir eine Sache aus der Reise mitnehme, dann ist es die, nie wieder in La Paz oder in Lima mit dem Auto zu fahren.
Sara möchte nur eine kurze Strecke heute fahren und sucht für uns eine Unterkunft im Norden der Stadt. Die nächste Herausforderung ist es das Auto irgendwo unterzubringen. Man hatte uns einen Platz in einer Garage direkt bei unserer Unterkunft versprochen und garantiert, dass unser extrem hohes Auto dort hinein passt. Peruaner können allerdings genauso gut Höhen schätzen wie Autofahren.
Ich rede mir zwanzig Minuten lang den Mund fusselig, um meinen Gastgebern klar zu machen, dass das Auto zu hoch ist, um durch das Garagentor zu passen. Am Ende muss ich das Auto bis zum Anschlag in die Einfahrt stellen, und selbst als das Metall zwei Zentimeter vor und fast einen Meter über das Garagentorrahmens ragt, ist man immer noch skeptisch. Vielleicht nehmen die Leute zu viel Coca. Danach zeigt man mir eine andere Garage, die noch niedriger ist. Was ist los mit den Leuten?
Auf der Straße kann das Auto auf keinen Fall über Nacht bleiben, das wäre überhaupt nicht sicher. Das hat man mir auch schon in Puno und Arequipa gesagt und nichts ist passiert.
Am Ende des Tages findet sich eine kommerzielle Garage, in die ich hineinpasse, aber es dauert lange und raubt viel Zeit und Nerven.
Zumindest werden wir am Ende des Tages durch etwas anderes wieder aufgeheitert: Leon hat seine ersten eigenen Schritte gemacht, als er nicht gemerkt hat, dass Sara ihn gar nicht mehr festhält. (26.10.2022)
Nach ein paar Tagen müssen wir uns aber wieder der Tatsache stellen: wir sind in die Stadt lebendig hinein gekommen. Jetzt müssen wir es auch wieder hinaus schaffen.
Wir passen eine Uhrzeit ab, zu der der Berufsverkehr abgenommen hat und fließen auf der Transitstrecke durch die Stadt. Ich bleibe wie ein graues Bollwerk auf der mittleren Spur und lasse Busse, Autos und Lastwagen hupend links und rechts an mir vorbeiziehen. Vor uns liegt wieder die Panamericana und der Norden des Landes.