Tagebuch Eintrag
Das Frühstück ist üppig und ich spreche lange mit der Großmutter des Hauses, während Chris und Uwe auf die örtliche Festung steigen. Bei mir wird das nichts – bei der Wanderung im Minengebiet bin ich durch eine dumme Aktion mit dem Knöchel umgeknickt. Mein Fuß ist einbandagiert und wird von tiefgefrorenem Hühnchen gekühlt. Mir macht es nichts aus, außerdem muss ich es später auch nicht essen.
Es macht allerdings den unerzogenen Hund auf mich aufmerksam, den ich nur schwer auf Abstand halten kann.
Die Dame, die Ivana heißt, so wie ihre Tochter, spricht fließend Deutsch. Sie hat dort viele Jahre gelebt und die Zeit dort genossen. Sie freut sich, dass sie die Sprache wieder üben kann.
Da Chris langsam übermütig von den Festungen wird müssen Uwe und ich Maßnahmen ergreifen und bestimmen, dass er nur noch eine Festung pro Tag besuchen darf. Eine Ausnahme bildet dieser Tag, denn in der Stadt Stolac, in die wir kommen, gibt es ebenfalls eine.
Und ich habe noch keine besucht. Wir treffen in einer gastronomischen Wassermühle eine junge Dame aus Couchsurfing namens Ivana.
Sie hatte Zeit und Lust uns zu treffen und uns etwas über das Land zu erzählen.
Sie gehört der kroatischen Volksgruppe an. Sie spricht nur kroatisch und bezeichnet Kroatien als ihre Heimat, obwohl sie dort nicht geboren ist und all ihre Familie in Bosnien & Herzegowina ist. Persönlich kennt sie keinen einzigen Bosnier. Unsere Verwunderung kann sie nicht verstehen.
Nach ein paar Kaltgetränken begleitet sie uns zur Festung. Nachdem wir von ihr erfahren, dass ihre Eltern Raki produzieren und verkaufen können wir es nicht lassen, diesen auch einen Besuch abzustatten. Ivana bleibt in der Stadt und ihre Mutter spricht weder Englisch noch Deutsch, aber als wir von Ivana erzählen weiß sie, dass wir ihre Tochter kennen.
Etwas verwundert sind sie und der ältere Herr, der sich ebenfalls in der kleinen Gemischtwarenhütte befindet, doch über unsere Anwesenheit. Wir genießen den Raki (Prost = „Djiveli“) und machen uns wieder auf den Weg mit einer selbstgebrannten Flasche unter dem Arm.
Lektionen in Bosnien & Herzegowina:
Relegionstrennung in der Schule
Von Ivana haben wir gelernt, dass die Kinder, je nach Religion, morgens oder nachmittags zur Schule gehen. Die christlichen Kinder sind in der ersten Hälfte des Tages dran, die muslimischen Kinder in der zweiten. Seit Jahrhunderten kam niemand auf die Idee die Menschen in einem Land zu durchmischen. Christliche und muslimische Gemeinden können seit Generationen in einer Stadt nebeneinander existieren, ohne dass die Bewohner jemals etwas miteinander zu tun haben. Es macht mich traurig. Ich blicke den muslimischen Schulkindern hinterher.
Wir übernachten in einer Stadt, die wie eine totale Delikatesse klingt. Vrapcicci hat allerdings sonst nichts zu bieten, nicht einmal ein schönes Balkanrestaurant. Dafür müssen wir nochmal bis tief nach Mostar hinein und landen am Ende wieder in der Haupttouristenmeile.
Unser Weg führt in Richtung Konjic. Wie immer haben wir nur wenig Plan von dem, was wir an so einem Tag machen wollen und entscheiden spontan. Chris findet in meinem Reiseführer Hinweise zu ein paar schönen Wasserfällen in einem Tal abseits der Hauptstraße.
Es sieht nur nach einem kleinen Abstecher aus, also überqueren wir die Brücke über den Fluss Donja Dreznica und schlängeln uns mit dem Wagen durch die tiefhängenden Wolken die Berge hinauf. Es ist schon einige Stunden her, dass wir den letzten Kaffee hatten, daher halten wir an einem Cafe an und bestellen an den verdutzen Gesichtern der Männer vorbei drei Espresso.
Die Menschen freuen sich über unsere internationale Gesellschaft und grüßen uns enthusiastisch. Niemand hat hier allerdings jemals etwas von einem Wasserfall gehört. Ein Mann winkt uns nach einem langen Monolog in seiner eigenen Sprache in eine Richtung, wir werden aber nicht fündig. Ein Schild weist wieder in eine andere Richtung. Einen anderen Mann überfordern wir mit unserem Englisch, sodass er sich Hilfe von einer jungen Frau holt, die gerade vorbeikommt. Sie sieht aus, als wäre sie vierzehn und hat gut genug in der Schule aufgepasst, dass sie mit uns sprechen kann.
Sie hat auch keine Ahnung von einem Wasserfall in diesem Tal. Es bekommt langsam den Charakter eines Indiana Jones Abenteuer „Auf der Suche des verlorenenen …“ . Sie bittet uns, dass sie mit in unser Auto steigen kann und uns eine Stelle zeigt, die eventuell das gesuchte Gewässer sein könnte. Ich versuche sie davon zu überzeugen, dass wir drei ausländische Männer schon begründete Angst davor hätten, einfach eine fremde minderjährige junge Frau in unser Auto einsteigen zu lassen. Sie verspricht jedoch sich zu benehmen.
Ihr Gewässer stellt sich nicht als besonders spektakulär heraus. Mit der Ausrede, sie wolle nur eine Kleinigkeit kaufen, halten wir an einem kleinen Laden. Sie kommt zurück mit drei Packungen Eiscreme für uns. Nun sind wir wirklich misstrauisch.
Wir sollten es besser wissen, unsere Mütter hatten uns früher schon gewarnt. Es folgt, was folgen musste. Sie lädt uns zu sich nach Hause zum Kaffee ein.
Anjelas Mutter scheint gar nicht davon überrascht zu sein, dass plötzlich drei Deutsche in ihrem kleinen Haus stehen. Sie bittet uns Platz auf dem Sofa und Zigaretten an, was wir annehmen und ausschlagen. Sie bereitet türkischen Kaffee zu, während Anjela uns mit einem Ausweis beweist, dass sie gar nicht vierzehn, sondern sogar schon zweiundzwanzig Jahre alt ist. Ihr jüngerer Bruder zeigt uns dafür seine hart trainierten Beinmuskeln und ereifert sich mit Uwe über bosnische und kroatische Fußballspieler. Wir können im einzig nicht verzeihen, dass er überzeugter Bayern München Fan ist.
Die Familie ist bosnisch und muslimisch, wie alle in diesem Tal. Das merken wir aber erst, nachdem wir nachfragen. In diesem Land ist es aus Ausländer schwer einzuschätzen, welche Volksgruppe man gerade vor sich hat.
Während wir unseren Kaffee in der Hütte genießen geht in einem gewaltigen Unwetter draußen gerade die Welt unter. Es scheint als hätte sich all die schlechte Wettervorhersage an einem einzigen Zeitpunkt entladen und wollte ihren Wahrheitsgehalt der letzten Tage komprimiert unter Beweis stellen. Die Mutter nimmt unsere Antwort, dass wir durchaus etwas Hunger hätten, als Anlass, einen Teig zu mischen und auf dem Boden zu einem weiten Kreis auszurollen, Kartoffeln, Zwiebeln und Hackfleisch zuzubereiten, auf den Teig zu geben, zu einer dünnen Rolle und dann zu einer Schnecke zu formen und als frischen Börek aus dem Ofen zu holen. Er schmeckt fantastisch. Nun hat sich noch die Tante der Kinder dazugesellt, die schweigend mit uns auf dem Sofa sitzt und die Gesellschaft genießt, auch wenn sie kein Englisch versteht. Alle außer uns rauchen.
Zum Abschied bekommen wir noch eine zu einem Lastwagen geformte Raki-Flasche geschenkt. Wir sind überwältigt von der Gastfreundschaft. Diese Leute haben nicht viel und die Frau muss sicher viel arbeiten, um ihren beiden Kindern etwas zu bieten.
Und doch werden wir zu allem eingeladen und als Gäste verwöhnt. Einige Tage später werden wir ein paar Geschenke auf einem Markt kaufen und mit der Post zu der Familie schicken.
Wir bringen Anjela noch bis zur Bushaltestelle, denn sie möchte spontan zu ihrem Freund nach Mostar. Unser nächster Halt ist Jablanica. Das Museum über den Krieg ignorieren wir, aber wir sind tief beeindruckt von der zerstörten Eisenbahnbrücke, deren Trümmer am anderen Ufer noch bis in die Neretva reichen.
Diese Überbleibsel sind noch auf den Zweiten Weltkrieg zurückzuführen. An dieser Stelle konnten jugoslawische Partisanen den Invasoren aus Nazi-Deutschland eine empfindliche Niederlage beibringen.